Es gibt Dinge im Leben, die sind so alltäglich, dass man kaum darüber nachdenkt – bis man in ihnen festsitzt. Zum Beispiel: die Telefon-Warteschleife. Ein auditives Fegefeuer zwischen Hoffnung und Resignation, zwischen „Bitte bleiben Sie dran“ und „Ich raste gleich aus“. Und wie sich nun herausstellt: Dieses wundersame Zwischenreich wurde nicht etwa in Silicon Valley oder Tokio erdacht – sondern in Hilden. Ja, richtig gelesen. Zwischen Düsseldorfer Altbier und Haans Trödelmarkt liegt die Wiege der Wartemusik.
Der Schuldige? Wolfgang Beyer. Wer sich jetzt ein innovatives Technik-Genie im Silicon-Vibes-Anzug vorstellt, liegt... halb daneben. Der Mann kam aus Thüringen, war Werbekaufmann, und sein erstes akustisches Imperium gründete er mit Kassettendurchsagen für Supermärkte. „Dingdong. Heute im Angebot: Jagdwurst im Kilopack.“ – Das war quasi der Spotify-Algorithmus der 70er, nur handgemacht, mit viel Liebe und noch mehr Tonband. Das Tonstudio: irgendwo zwischen Wohnzimmer und Käsetheke.
Doch dann kam der Einzelhandel auf die revolutionäre Idee, keine Durchsagen mehr zu wollen. Plötzlich war Funkstille – auch im Geldbeutel. Was also tun mit all dem Durchsagen-Know-how? Während andere in die Midlife-Crisis schlitterten, machte Beyer einen Abstecher in die USA, lauschte dort einem leisen Klingklang in einer Telefonleitung – und hatte eine Erleuchtung: Warum die Stille beim Warten nicht einfach mit Musik füllen? Oder mit einer Ansage? Oder mit Ronan Keating?
Zack, zurück in Deutschland, Kassettenrekorder an die Telefonanlage angeschlossen, zum nächstbesten Großkonzern (Nixdorf!) marschiert – und dort den wahrscheinlich ersten Pitch für Warteschleifen gehalten. Der Rest ist Geschichte, oder wie es bei Beyertone heißt: *Musiphone*. Ein Gerät, ein Gattungsbegriff, ein Ohrwurm in Dauerschleife.
Von Versicherungen bis Zirkus Krone, vom VfL Bochum bis zur US-Army: Alle wollten plötzlich eine Warteschleife – *mit* Musik, *mit* Ansage, *mit* Stil. Und wenn man schon warten muss, dann wenigstens mit einem Soundtrack. Was früher „Bitte haben Sie einen Moment Geduld“ war, wurde irgendwann zur akustischen Selbstinszenierung. Manche Firmen investierten Millionen in Imagekampagnen – aber ließen ihre Kunden dann mit Waldhorn und Flöte im Telefonsumpf zurück. Tja.
Das Unternehmen Beyertone gibt’s übrigens immer noch – wenn auch geschrumpft auf drei Mitarbeiter, aber mit ungebrochener Leidenschaft für das, was zwischen Klingeln und Gespräch passiert. Heute produzieren sie auch Browserlösungen, Wartemusik nach Jahreszeit und Zielgruppe und offenbar auch individuelle Soundinszenierungen für Leute mit Geschmack. Apropos: Entertainer Jörg Knör ließ sich einst Papst und Boris Becker simultan in die Leitung legen – wenn das kein Anruf mit Mehrwert war.
Wolfgang Beyer, der Daniel Düsentrieb der wartenden Welt, ist längst verstorben. Aber sein Sohn Hendrik führt das Werk weiter – und weiß, dass es beim Warten auf den Punkt ankommt. Nicht zu lang, nicht zu öde, nicht zu „Was ist das für ein komischer Jingle?!“. Man will schließlich nicht beim Zahnarzt anrufen und sich fühlen wie im Fahrstuhl eines 90er-Jahre-Hotels.
Und wer glaubt, Warteschleifen seien ein Relikt der Vergangenheit, der hat noch nie bei seiner Krankenkasse angerufen. Oder bei der Bank. Oder beim Techniksupport. Solange Menschen telefonieren und Systeme überlastet sind, bleibt uns dieses akustische Zwischenparadies erhalten – in all seiner Melancholie, Frustration und manchmal auch unfreiwilligen Komik.
Also, das nächste Mal, wenn Sie in der Leitung hängen, denken Sie daran: Irgendwo in Hilden hat jemand genau das geplant. Und vielleicht läuft im Hintergrund ja gerade *Cotton Eye Joe* – für den perfekten Sprung ins Gespräch.
Dienstag, 2. Dezember 2025
2.12.2025: Hilden klingelt durch: Wie ein Mann die Warteschleife erfand und wir alle drin hängen blieben
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